Milbe Kreislauf Bienenflügel Petrifizierende Monumente Petrifizierende Monumente Katalog Haze Coming Home from Milliways Der Schuh des Schusters Ameisenhaufen VR-Brille in Stein iPhone 6s / E-Bike Konsole in Moorwasser Drohne in Baumharz Konservierende Momente
Erosionsrinnen The Rain brings the colour
Bienenflügel
Echt-Antik Glas | 170 cm x 80 cm x 0,3 cm 2013
Die Installation Bienenflügel von Marlon Lanziner besteht aus einem Objekt, das einen Bienenflügel abbildet. Der Flügel ist aus Echt-Antikglas Fragmenten gefertigt und schwebend im Raum montiert. Der Künstler möchte dabei verschiedene Aspekte und Ansichten transportieren, die er für sich und seine Umwelt als bedeutsam erachtet. Zunächst ist der Flügel ein vergrößerter Ausschnitt. Dabei ist es dem Künstler wichtig, Bezüge zwischen Betrachter und Objekt herzustellen. In welcher Relation steht dabei das Insekt zum Menschen? Durch die Überdimensionierung des Flügels erfährt dieser eine ungemeine Aufwertung, die den Blick für die kleinen, scheinbar weniger bedeutsame Dinge der Welt schärfen soll. Marlon Lanziner betrachtet die Insekten und die Menschen gleichermaßen als soziale Wesen. Diese Wesen sind nur in der Gemeinschaft überlebens- fähig. Der Künstler geht dabei auf die zunehmende Entfremdung des Menschen von seinem Ursprung als soziales Wesen ein.
Benjamin Vamosi
Petrifizierende Monumente
Drei Erden, Sand, Ackerschachtelhalmextrakt, Netz, Biologische Fundstücke | 3 x 70 cm x 70 cm x 150 cm 2014 | Herrenwies, Baden-Württemberg
Der schwarze Wald, die schwarze Erde. Die Arbeit Petrifizierende Monumente von Valentino Biagio Berndt
und Marlon Lanziner nimmt den Namen Experiment Landschaft wörtlich, indem sie selbst Experiment ist.
die beiden Künstler stoßen einen Prozess an, der üblicherweise die vom Menschen fassbaren Dimensionen übersteigt: Die Versteinerung. Dazu sammelten sie zunächst organische Objekte im Wald, die nach ihren eigenen Kriterien versteinerungswürdig sind und banden diese in ihren Versuchsaufbau ein. Die Objekte wur- den mit Sand, Erde und Sandsteinen in pyramidenförmigen Erdhaufen deponiert. Ein dicker Ast als Fundament und der Bewuchs mit tiefwurzelnden Brennnesseln werden diese Objekte mit dem umgebenden Wald verbin- den. Durch die Zutaten und das Übergießen mit Schachtelhalmextrakt werden optimale Bedingungen geschaf- fen, um die gefundenen Objekte durch die Kieselsäure zu versteinern. Durch einen künstlerischen Prozess wird somit auch ein zeitlicher Prozess angestoßen, gleichzeitig wird der menschliche Versuchsaufbau durch das nahtlose Zusammenwachsen wieder ein Stück des natürlichen Waldes. Außerdem entwickelte sich die Arbeit während des Aufbaus weiter: Jedes der 350 gefundenen Objekte wurde einzeln fotografiert. Gemeinsam bilden diese Fotografien jetzt ein Archiv, das auf eine abstrakte Art und Weise das Umfeld des Skulpturenwegs zur Zeit seiner Entstehung dokumentiert und verdichtet.
Jan Löchte
Raum – Zeit und Materialforschung in ihrer natürlichen Umgebung – dies sollen die Stichworte meiner Laudatio sein. Kennengelernt habe ich Marlon Lanziner und Valentino Biagio dieses Jahr im Kunstverein Wilhelmshöhe. Im Rahmen der Wettbewerbsreihe Höhenluft, bekam das Künstlerduo die Möglichkeit den Ettlinger Wald und seine Umgebung zu erforschen. Mit dabei hatten sie eine Metallbox mit der Aufschrift: Petrifizierende Momente. Was damit gemeint sein soll, war mir bis dato nicht ganz klar. Versteinerte Momente?
In dieser Arbeit begaben sich Lanziner und Biagio in die Natur und sammelten organische Objekte, welche die Annahme verstärken das Experiment der Versteinerung darstellen zu können. Um eine Archivierung der einzelnen Produkte gewährleisten zu können, werden diese in einer eisernen Schubkarre drapiert und fotografisch festgehalten. Im Anschluß darauf werden die organischen Objekte aufeinander gereiht, sodass ein pyramidenartiges Gebilde entsteht. In den Zwischenschichten befinden sich Sand, Erde und Sandstein. Die Verwurzelung und das Bindeglied mit dem umgebenden Wald, entsteht durch die Verwendung eines Astes. Dieser wird inmitten der Pyramide gesteckt und tief in den Waldboden gebohrt. So werden die lose zusammengetragenen Objekte miteinander verbunden und finden Heimat. Die biologischen Fundstücke wurden im Anschluß mit einem Netz umhüllt, damit diese nicht in alle Winde verstreut werden können. Lanziner und Biagio bedienten sich daraufhin, den Acker-Schachtelhalmen, um letztendlich die Petrifizierung in Gang zu setzen. Die Ackerschachtel ist ein Rhizom-Geophyt und seine reich verzweigten und behaarten Rhizome treiben bis 1,60 tief in den Boden hinein. Die Wahl auf diese Pflanze liegt ihrer Beschaffenheit zugrunde. Die sehr reichlich in die Zellwände eingelagerte Kieselsäure dient der Festigkeit der Pflanze und soll in diesem Projekt, aber auch in dem folgenden, eine zentrale Rolle spielen. Die Kieselsäure soll hier den Versteinerungsprozess verstärken, aber auch symbolisieren.
Lanziner und Biagio präsentieren eine sehr unaufdringliche Kunst, die so unregelmäßig-vielfältig wie ihre umgebene Natur selbst ist. Sie besitzt ein Geheimnis und bezaubert durch Unergründlichkeit. Dieses Verhältnis von Kunst und Natur muss näher betrachtet werden. Die petrifizierenden Momente irritieren in ihrer Erscheinung auf den ersten Blick: Sind sie aus der „reinen“ Natur oder nicht. Die Zuschreibung eines Kunstwerkes entsteht erst dadurch, dass es ein Produkt der beiden Künstler ist und zudem als bloßes Produkt der Natur scheint, es aber schlichtweg nicht ist. Die einzelnen Bestandteile stammen zwar aus dem hier zugrundeliegenden Wald, wurden aber bearbeitet und in ihrer Form manipuliert. Die Manipulation, soll hier allerdings nicht negativ konnotiert sein und daher sprechen wir eher von einer Mutation durch hilfreiche Mittel die in ihrer zugrundeliegenden Umgebung existieren. Der Vorzug der Natur und eine Voraussetzung von Kunst ist, dass man, obwohl alles zweckmäßig wirkt, dennoch keine bestimmte Absicht darin erkennen kann.
Ein Kunstwerk ist damit einer Pflanze oder einem Organismus vergleichbar, es ist in sich geordnet, kann durchaus regelmäßig sein, ruht aber zugleich so geschlossen in sich, daß keine darin liegende Ordnung über es hinaus Geltung beansprucht. Sie ist viel mehr Ausdruck von Dynamik und von fortlaufender Entwicklung. Der Schaffensprozess wird von Lanziner und Biagio zugänglich gemacht. Betrachtet man die petrifizierenden Momente, lässt sich Schicht für Schicht wahrnehmen und im inneren Auge vollziehen.
Petrifizierende Monumente Katalog
Aluminium, Texte, Bilder, Schubkarrenarchiv, Wegbeschreibung | 12 cm x 18 cm x 8 cm 2015
Was bedeutet schon ein Moment angesichts von vielen Jahrtausenden? Ein Wimpernschlag angesichts einer Ewigkeit? Die Mücke, die sich flüchtig auf dem frischen Baumharz niederlässt, findet sich eine halbe Unend- lichkeit später eingeschlossen in der schimmernden Perle einer Bernsteinkette wieder. Dergestalt ist der in- szenierte Moment in den ,,Petrifizierenden Monumenten’’ von Valentino Biagio und Marlon Lanziner enthalten: der Prozess der Versteinerung, den die Künstler an diversen Orten im Wald initialisiert haben, ist ein Prozess der Verwandlung, der unsere Lebensdauer und wohl auch unsere Vorstellungskraft bei weitem übersteigt. Was an seinem Ende steht wissen wir nicht; aber vorstellen können wir uns immerhin, dass wir selbst, rück- blickend aus einer fernen Zukunft und aus den Weiten des unendlichen Raumes betrachtet, nur ein Wimpern- schlag sind. In der Zeit.
Mariella Mosler
Der Schuh des Schusters
Bronze | 30 cm x 12 cm x 9 cm 2016 | Stuttgart, Baden-Württemberg
Der Schuster kommt auf mich zu
und möchte seinen Lieblingsschuh
das ist schon komisch
wo er doch viel mehr über Schuhe weiß wie ich
mein Schuh scheint mehr wert als zwei der Seinen
gern würd ich im Tausch die Schuhe wählen
doch gezwungen in dieser Welt
entscheide ich mich für das Geld
das Geld jedoch war nicht von Dauer
und nur kurzer Gast in meinem Leben
der Schuster der war schlauer
den Schuh den wird es immer geben.
Marlon Lanziner
Ameisenhaufen
Stahl, Video | 30 cm x 30 cm x 120 cm 2017 | Neuhausen, Baden-Württemberg
Im digitalen Zeitalter beschäftigen sich die jungen Bildhauer mit raumbezogenen Formaten. Das Projekt, das sie mit ihrer Professorin Mariella Mosler für Neuhausen entwickelt haben, ist nicht zuletzt deshalb so span- nend, weil sie sich mit dem Ort auseinandersetzen, an dem sie ausstellen. Marlon Lanziner war stundenlang im Horber Wald unterwegs, um einen Ameisenhaufen zu finden. „Ich beschäftige mich mit Staatensystemen im Tierreich“, sagt der junge Künstler, der auch mit Bienenvölkern gearbeitet hat. In das Kunstwerk der Natur platziert er eine große Skulptur aus Metall, die „eine Wächterfunktion“ bekommen soll.
Über eine Kamera will Lanziner das straff organisierte Leben im Ameisenhaufen für die Betrachter abbilden. „Die Sensibilität für die Natur schärfen“ will er mit digitalen Hilfsmitteln. Sein Kunstwerk, zu dem die Betrachter nach 15 Minuten Fußweg im Wald finden, hebt sich von den Video- und Filmprojekten seiner Klasse ab.
Elisabeth Maier (Esslinger Zeitung)
Erosionsrinnen
Aluminium-Dachrinnnen, natürliche Erdpigmente, Acker- und Sumpfschachtelhalm, Pflanzen der Umgebung des Kunstvereins Whilhelmshöhe, Regenwassers
2018
Die Arbeit Erosionsrinnen bestehend aus einem hängenden miteinander verbundenem Dachrinnenkonstrukt verbindet sich mit dem vorhandenen Regenabwassersytem des Kunstvereins Wilhelmshöhe Ettlingen.Die Dachrinnen hängen rhizomartig im Raum und leiten das Wasser an vier Stationen, welche in den Ausstellungsräumen verteilt sind.Valentino Biagio und Marlon Lanziner züchten mit Hilfe von stetem Tropfen, welcher durch den Erosionsrinnenapparat fließt , Stalagniten und ähnliche erodierte Objekte, wie Tropfgebilde und Sedimentablagerungen. Der Tropfen wird zum Taktgeber der Erosion und bindet dabei die Substanzen. Die Werke, die in jeder Wanne entstehen, werden im Laufe der Ausstellung trocknen und anschließend aus der Wanne entnommen, um durch neues Material ersetzt zu werden. Das Aussehen der Werke wird durch den Inhalt der Dachrinnen bestimmt. Jede Dachrinne wird mit der einheimischen Dachrinnenvegetation und diversen Erden und mineralhaltigen Substanzen befüllt, welche Einfluss auf die Struktur und Farbgebung des Tropfens haben, das wiederum das Ergebnis in den Wannen beeinflussen. In diesem Prozess bestimmt der Regen die Geschwindigkeit in der die Skulpturen wachsen. Die Künstler passen sich an den Takt an und bringen sich, durch die Auswahl der Fundstücke und Zugabe diverser Materialien mit ein.
Marlon Lanziner & Valentino Biagio
Die Erosionsrinne (2018) ist von seinen Versatzstücken vergleichbar konstruiert. Lanziner und Biagio erschaffen mit dieser Arbeit einen direkten Bezug mit den Räumlichkeiten des Kunstvereins Wilhelmshöhe. Eine Woche arbeiteten und lebten die beiden Stuttgarter Künstler direkt vor Ort. Es bestand kein direkter Transport eines fertigen Kunstwerkes aus dem Atelier aus Stuttgart. Diese Erosionsrinne entsteht erst durch ihren Aufbau und ihrer Installation erst auf der Wilhelmshöhe. Mehrere Dachrinnen wurden anhand filigraner Drahtseile mit der Decke befestigt. Eine kleine Klappe am Dachfenster ermöglicht es die Rinne mit dem Außenraum des Gebäudes in direkten Dialog treten zu lassen. Die Dachrinnen ermöglichten es das Wasser durch verschiedene Stationen aus dem Außenraum in den Innenraum sickern zu lassen. Die jeweiligen Rinnen sind mit mannigfaltigen Pflanzen bestückt, die allerdings keinen dekorativen Moment verstärken sollen. Das Wasser floß durch die einzelnen Rohre an unterschiedlichen Pflanzen vorbei und erhält dadurch mehrere Duftnoten und man kann behaupten dass die „Reinheit“ des Wasser durch mehrere Stoffe verändert wurde. Unter anderem befindet sich hier erneut die Ackerschachtel an einigen Stellen. Genannt wird sie auch Zinnkraut oder Acker-Zinnkraut. Das Wasser durchläuft nicht nur einzelne Pflanzen und Hindernisse, sondern nimmt ihre Bestandteile auf. Unterschiedliche Pflanzen, aus Stuttgart, aber auch direkt aus dem umliegenden Wald in Ettlingen, befinden sich in dieser Maschinerie. Den Künstlern ist der direkte Bezug und die Kommunikation vor Ort ein wesentliches Element. Unter den jeweiligen Rinnen stehen Aluwannen in denen sich gefundene Materialien, wie ein Baumrinne oder ein Stein befinden. In unregelmäßigen Abständen tropften die veränderten Wassertropfen und werden von den Künstlern mit Gips überschüttet, um den Erosionsmoment zu verstärken. Die einzelnen Kunstwerke entstanden vor Ort und sollten auch nur Inhalte diesen Ortes in sich tragen.
Es geht aber auch um eine Architektur des gelebten und vor allem von uns wahrgenommenen Raumes. Unser Lebensraum besteht nicht aus einem einzigen Raum. Vor allem nicht aus dem geometrisch-euklidischen Raum. Wir leben in einer Vielfalt unterschiedlich konstruierter Räume in denen unsere Existenz je anders da ist. Es gibt über die Wahrnehmung von Raum unterschiedliche Meinungen und werden meist in ihre Subjektivität abgeschoben. Wir sind es gewohnt, Wahrnehmung als einen Akt zu begreifen durch den etwas von „draußen“ zu uns nach innen kommt, in uns abgebildet und gespeichert wird. Dabei setzen wir voraus, dass das Draußen, die Außenwelt auch ohne uns so ist wie sie uns erscheint. Eine besondere Rolle für die praktische Erschließung von Raum beziehungsweise von Räumen spielt nun die Architektur. Unterschiedliche Räume, dazu gehört auch die umgebende Natur, die Wälder, die Gegenden, konstituieren Orte. Von diesen her lassen sich Räume im Sinne einer gegendhaften Umwelt erschließen. Denn die Umwelt erschließt sich uns nur, insofern sie in unseren Zusammenhang, also der menschlichen Welt eigelassen wird. Vor dem Akt ihrer Besetzung mit unterschiedlichen Dingen, ob nun wie in den petrifizierenden Momente oder auch den Erosionsrinnen mit Steinen und Pflanzen, oder auch anderen Dingen gibt es keine Räume oder Orte. Mit einem Raum meinen wir an dieser Stelle, den Raum der mathematischen Physik. Wie die Raumphänomenologie gezeigt hat, kann Raum nicht ohne unsere Existenz erfaßt werden. Raum ist entscheidend von unserer Situation abhängig. Raum erscheint und nie als ein rohes Stück Geometrie, sondern immer schon erschlossen oder vor-erschlossen durch einen Zweck, eine bestimmte Zu-gehensweise, ein Motiv, das wir gewählt haben. Deshalb erscheint Raum auf uns zugeschnitten und ist nicht von uns zu trennen. Wir können diesen Vorgang mit Satre eine Situation nenne und sagen: „Situation und Motivation sind eins.“
Diese Komponente dienen Lanziner und Biagio dazu unterschiedliche Haltungen in Bezug zum Raum und seiner Wahrnehmung einzunehmen. Durch die Verwendung und den expliziten Bezug zur Natur, wird Natur als „Raum“ neuartig wahrgenommen und seine Prozesse zum Vorschein gebracht. Wahrnehmung ist ein aktives Hervorbringen von Welt. Wahrnehmen und Erkennen sind primär keine Datenprozesse. Vielmehr transformieren und erweitern wir unsere gesamte existentielle Struktur. In der Wahrnehmung beeinflussen wir immer die gesamte Wirklichkeitsverfassung. Je nach Haltung, Herangehensweise öffnet sich und teilt sich eine Umgebung anders auf. Sie wird dadurch unterschiedlich wahrgenommen. Je nach dem, ob wir Wünsche und Vorstellungen projizieren, ob wir nach Vorteilen, Chancen Ausschau halten, ob wir nur Bestätigung suchen oder uns ausliefern ändert sich alles. Erkenntnis kommt unter anderem von effektiven Handeln und indem wir erkennen, wie wir erkennen, bringen wir uns selbst hervor. Lanziner und Biagio geben sich und ihrer Umgebung die Möglichkeit Dinge und Organismen wieder wahrzunehmen und seine eigene Verortung herzustellen. Die Experimente der Phänomenologie der Umwelt verdeutlichen die Bedeutung von Kontrolle, Zufall und Prozesshaftigkeit. Kontrolliert wir die Auswahl der Materialien und ihre konstruierte Zusammenführung. Zufall entsteht insofern, dass auf Regen gewartet werden muss, der die jeweilige Maschinerie wieder zum Laufen bringt. Prozesshaft ist das gesamte System beider Installationen selbst. Der Prozess und vor allem jede einzelne Etappe ist sichtbar und nachvollziehbar. Diese Prämissen gewährleisten das „Sehen“ und „Rückbesinnen“ auf den eigenen Ort.
Asmâa Senouci-Meflah (27.11.2018)
Konservierende Momente
Glas, Moorwasser aus verschiedenen Mooren des Schwarzwaldes, Modellierwachs, Natursteinschlamm, Anorganische Fundstücke der Umgebung Villa Merkel, Siliziumdioxid, Lasercut in Eichenholz, Kalk.
2019
Die konservierenden Momente von Marlon Lanziner und Valentino Biagio bestehen aus vier gleich großen Behältern in denen Langzeitkonservierungen durch verschieden Methoden initialisiert werden.
Jede Kiste stellt einen Raum in oder um die Künstler da und soll diesen in der Verbindung mit Flüssigkeiten deren Eigenschaften konservierend sind transformieren und erhalten.
Es wird ein Prozess angestoßen der erst lange nach unserer Lebenszeit vollendet ist.
Die Konservierenden Momente stehen nicht für ein Ergebnis sondern sind der Beginn einer Transformation.
Auch wenn wir im Moment keine Veränderung beobachten können so findet in jedem Moment etwas statt dass es ermöglicht diese Umwandlung der Materialien zu vollziehen. Durch diese unscheinbaren Abläufe gelingt es uns niemals den Prozess der Veränderung zu erblicken.
In den trüben Gewässern entsteht eine Unschärfe die uns nicht sehen sondern teilhaben lässt. Teilhaben an einem Takt der durch den Beginn der Arbeit entsteht und dessen zeitliche Struktur sich noch weit über uns hinaus erstreckt.
Marlon Lanziner
Die Fliege
Erwacht und das Leben beginnt
Schnell muss es gehen
Die Zeit rinnt
Zwischen
Geborenwerden
Wachsen
Sichvermehren
Und Sterben
Soll aus dieser Fliege etwas anderes werden.
Große Pläne hat Sie,
jetzt geht’s ans Werk
etwas zu erschaffen
Dass lang über Ihr Leben hinaus wehrt
Doch erst wenn die Fliege
lange Tod
Wird Ihr Werk sich vollenden
Es entsteht eine Brücke
zwischen den Zeiten
Die es ermöglicht
hinüber zu gehen
um die Welt durch die Augen
der Fliege zu sehen.
Marlon Lanziner
Die Installation Marlon Z. Lanziners konservierende Monumente entstand durch eine Einladung des Künstlers zum Meisterschüler-Weissenhof-Programm. Dort wurde zusammen mit dem Künstler Jonas Ried eine Ausstellung im Bahnwärterhaus der Galerie Villa Merkel mit dem Titel Feuchte der Flussränder konzipiert.
Der einstige Flussrand des Neckars am Bahnwärterhaus ist an dieser Stelle Namensgeber für die Arbeit. Dort beschlossen das Künstlerduo vier Aquarien zu bespielen, die vier unterschiedliche Stadien von Flussrändern dokumentieren und konservieren sollen. Die Glaskästen wurden schließlich im oberen Stockwerk des Bahnwärterhauses von Innen leuchtend dem Publikum präsentiert.
Die Aquarien bilden verschiedene Gedankenräume der Künstler ab mit dem Ziel in jedem dieser Objekte einen Prozess zu initialisieren der die darin enthaltenen Gegenstände verändert. Durch die hier gewählte Form der Darstellung und Konservierung bleibt der Transformationsprozess für den Betrachter bewusst zugänglich und erfahrbar. Hier sei der Verweis auf Dieter Rot erlaubt, der während der 1960er-Jahre Kunstobjekte aus organischem Material schuf, die ebenfalls einem Prozess der allmählichen Veränderung und des Zerfalls unterlagen. Lanziner geht jedoch einen Schritt weiter und schafft eine virtuose Verknüpfung zwischen verschiedenen Inhalts-, Zeit- und Interpretationsebenen.
In einem der Aquarien bzw. „Kisten“, wie der Stuttgarter Künstler diese nennt, werden die Gedanken der Künstler in Form von Gedichten aufgegriffen und künstlerisch visualisiert. Handwerklich wird dies durch Laserplotting auf eine gefräste Eichenholzplatte gelöst, durch die goldene Letter entstehen. In einem zweiten Schritt werden die zwei Eichenholzplatten in Kieselsäure und Wasser getaucht und schließlich das Aquarium verschlossen. Durch die Zusammensetzung der Flüssigkeit, in der das Holz lagert, wird eine Oxidationsprozess in Gang gesetzt, der das Holz in Stein transformiert. Das eingefräste Gedicht durchläuft diesen Prozess der Veränderung ebenso wie das Holz und bezeugt die Metamorphose durch die Säure.
Mikrokosmos
Das Moorwasser in der Kiste indem sich Drohnen befindet stammt aus einem Hochmoor im Schwarzwald. Als ich mit Hannah Burkhardt und Benjamin Vamosi im Februar am Moor gewesen bin, war dieser zu teilen noch gefroren und die Natur in und um den Moor befand sich noch im Winterschlaf und war sehr inaktiv.
Als wir das Moorwasser dann im Ausstellungsraum das Aquarium gossen ahnten wir noch nicht was passieren würde. Schon ein paar wenige Tage später nachdem das Wasser bei einer wohligen Temperatur und genug Sonnenlicht da stand, begann das Leben im Aquarium, unzählige Würmer, Fliegen, Wassertiere etc. wurden durch die beschleunigte Erwärmung der Umgebung aktiviert.
So kam es das während der Ausstellungszeit manche der Fliegen an der Oberfläche geboren wurden und dort wiederum auf andere warteten die Sie dann wieder essen können, oder andere Starben und vielen herunter so dass sie wieder einer anderen Art zum Opfer fiehlen. Ein wildes Chaos von verschiedenen Lebewesen wurde während der Ausstellungsdauer geboren und starb auch wieder. Am Ende war fast kein Leben mehr im Aquarium und der Zyklus von Leben und Tod war für die erste Runde vorbei.
Im weiteren Verlauf haben sich Algen das Aquarium zu eigen gemacht und der Drohnenschwarm bleibt unbeeinflusst für immer am Flussrand
ETERNITY IN PROGRESS?
Zu einer Objektserie von Marlon Lanziner und Valentino Biagio
Vier rechteckige Glaskästen auf Sockeln, darin trübe, wie just von irgendeinem- nun unsichtbaren- Bewohner aufgestörte Flüssigkeit; und darum verteilt einige Besucher, die teils belustigt, teils angestrengt, nach jenem Verursacher der Eintrübung zu suchen scheinen- so ungefähr ließe sich die Szene beschreiben, die sich dem Autor anlässlich der Vernissage der Ausstellung Die Feuchte der Flussränder im Bahnwärterhaus Esslingen bot. Auch näheres hinzutreten verschaffte keine Aufklärung, was sich in jenen undurchsichtigen, in verschiedenen Farben getönten, so von milchig bis bräunlich changierenden „Aquarien“ befand; der Nebel schwebender Partikel gab den neugierigen Blicken allenfalls grobe Schemen preis.
Konservierende Momente ist dieses Ensemble betitelt und es existiert, ein Jahr nach der erwähnten Ausstellung, immer noch- ein Hinweis, der zunächst redundant erscheinen mag, in diesem Kontext aber eine besondere Hervorhebung verdient. Es existiert noch, aber hat sich- seine Erscheinung- seither verändert. Ein Prozess, der vom ersten Tag an in gang ist; hätte man die Ausstellung über die Zeit ihrer Dauer damals täglich besucht, wäre die Sicht von Mal zu Mal klarer geworden, wäre der „Schleier gefallen“- nicht ohne sich zugleich auf die Objekte in den Kästen zu legen und sie so ein weiteres Mal dem direkten Blick zu entziehen (zur Frage der Sichtbarkeit wird noch zurückzukehren sein). Zunächst aber ein paar -nötige- technische Details und eine kurze Beschreibung dessen, was zu Beginn eben nicht zu sehen war:
Bei der Flüssigkeit handelt es sich um Moorwasser, dem zum Teil Konservierungsprozesse einleitende-, bzw. begünstigende Substanzen (Kieselsäure, Kalk) beigegeben sind, sowie, in einem Fall, Steinschlamm. Darin befinden sich jeweils verschiedene Gegenstände, thematisch auf die Kästen als vier „Szenen“ verteilt: einige kleinformatige Flugdrohnen (1), Objekte, die in unmittelbarer Umgebung des Ausstellungsorts gesammelt wurden (2), Eine Miniaturengruppe, die die Künstler bei der Realisierung des Projekts darstellt (3), sowie Eichenholztafeln mit eingeprägten Texten der Künstler (4).
Durch die chemische Präparation vier potentielle Zeitkapseln, damals vorgefunden zum Zeitpunkt ihrer „Initialisierung“ d.h. wenige Stunden nach ihrer Befüllung durch die Künstler.
- Es geht also um Konservierung, darauf verweist letztlich auch der Titel der Ausstellung, denn „Flussränder“ als Biotope bieten oft günstige Vorraussetzungen zur Fossiliation von Organsimen. „Stellvertreter“ für eine solche Verortung innerhalb der Arbeit ist dabei das Moorwasser, das die Künstler selbst aus dem Schwarzwald herbeigeschafft haben und das -man denke an die teilweise erschreckend Lebensnah erhaltenen Moorleichen- durch seinen hohen Säure-, und niedrigen Sauerstoffgehalt bestimmte Zersetzungsprozesse erheblich verlangsamt. Das ist per se noch keine Fossilisation, kann sie aber, unter bestimmten Vorzeichen, begünstigen.
Die Kästen entsprächen folglich vier „Flussrändern“ und sind jeweils unterschiedlich gestimmt: vielleicht unmittelbar am eindrücklichsten die Drohnen, mit all den Assoziationen einer dystopischen Welt, in der diese, ihrer Verewigung oder letztlichem Zerfall entgegenschlummernden Geräte das -vielleicht schon lange zurückliegende- Verschwinden der Menschheit beschwören (und zugleich den möglichen Grund dieses Verschwindens andeuten); und auch das ums Bahnwärterhaus Gesammelte- Flaschendeckel, Zigarettenstummel, etc.- kommt in seinem Konservierungsbad ohne den Menschen aus, der es einstmals dort vergessen oder weggeworfen hat. Eine bedrückende, oder- je nach Blickwinkel- auch beruhigende Abwesenheit verbindet beide, indem Menschgemachtes, wie selbstverständlich wieder der Natur und ihren Vorgängen anheimgefallen, das Fehlen des Menschen anzeigt. Er hat hier, theoretisch, nichts mehr verloren. Die beiden übrigen öffnen sich indessen einem etwas optimistischeren Gestus und scheinen, neben Kriegs- und Konsumgütern auch das mögliche Überdauern des Menschen selbst, bzw. seiner Repräsentation in Bild und Schrift in Aussicht zu stellen.
Die Motive von Fossilisation und Sedimentation ziehen sich durch eine ganze Reihe von Projekten, die Marlon Lanziner und Valentino Biagio in der Vergangenheit gemeinsam realisiert haben. Auf eine gewisse Weise ähnelt das Vorgehen dabei immer Versuchsanordnungen: Weichen werden gestellt, woraufhin ein Prozess „automatisch“ abläuft- sei es, wie im vorliegenden Fall, durch Vorgänge im „Inneren“, sei es mittels der Einbeziehung von Witterung- und doch gerade darin allerlei Unwägbarkeiten ausgesetzt ist. Das Ergebnis ist- zu einem bestimmten Grad jedenfalls- offen. Die Parameter, so z.B. zu einer Versteinerung, sind erfüllt; auf dem Weg dorthin, an dessen Ende das, nach landläufiger Vorstellung, „fixierte“ Faktum des Fossils steht, ist das Objekt jedoch zwangsläufig Wandlungen unterworfen und darin immer auch bedroht. Nichts könnte weniger sicher sein, als das „Gelingen“ der Versteinerung, was aber keineswegs einem „Misslingen“der Arbeit entpricht, die, sich selbstverständlich ihrer Ungewissheiten bewusst, diese Karte auch ironisierend ausspielt: Ein im offenen Raum präsentierter Glaskasten als Zeitkapsel ist Ausstellung dieses „prekären“ Status und zugleich Selbstbehauptung als eigenständiges, ästhetisches (Kunst-)Objekt.
Denn es handelt sich hier ja nicht einfach um die spektakuläre Illustration chemischer Vorgänge, wie man sie so auch in einem Museum für Naturgeschichte antreffen könnte. Hier überschneiden sich verschiedene Ebenen der Lesbarkeit und stellen sich Fragen jenseits des informativen Gehalts (oder des bloßen Schauwerts); nicht zuletzt die nach der Kunst selbst als Konservationsmedium. -Dabei geht es nicht nur um den mimetischen Aspekt- etwa, inwieweit eine Malerei oder eine Fotografie einen dargestellten Gegenstand „verewigen“ können-sondern berührt wird damit und darüber hinaus auch ganz materialiter das Problem der Dauer(haftigkeit) des Kunstwerks selbst.
Diese Thematik erfährt insbesondere bei zwei der besprochenen Objekte- dem Diorama, das in humorvollem Gestus die Künstler selbst zeigt, bzw. den Schrifttafeln- eine Wendung, die sie noch weiter verabgründigt. Denn bei beiden handelt es sich gewissermaßen um Selbstporträts, die der Konservierung anvertraut werden. Im einen Fall über die bildliche Darstellung, im anderen über die Schrift (wie erwähnt handelt es sich um Texte/Gedichte der Künstler und also ihre subjektiven Gedanken), deren wesentliche Eigenschaft man ja auch als Materialisation und damit potentielle Haltbarkeit bestimmen könnte.
Eine Verdoppelung, oder, wenn man so will, verdreifachung: Sowohl im Buchstaben, bzw. dem geformten Material, der chemischen Lösung und schließlich im Werk selbst, als einem weiteren Dispositiv, ist das Subjekt hier „verewigt“. Und zugleich befindet es sich ab dem Moment der Initialisierung in stetem Rückzug, denn von nun an übernimmt die Chemie -und der Zufall- die Regie und verändert sukzessive das Werk; verändert es und schafft es damit zugleich, denn die Ablagerungen, Mineralisierungen, etc. sind seine eigentliche Substanz. In genau diesem Sinne hat man es bei dieser Arbeit auch nicht- oder nur sehr vordergründig- mit einer Variation des Vanitas-Stilllebens zu tun: Die Natur ist hier nicht morte, sondern, entgegen allem Anschein, dynamisch. Konservierung bedeutet hier immer auch Transformation und sei Letztere auch selbst unsichtbar.
So könnte der Blick ins Trübe anlässlich der Vernissage aus zweierlei Gründen als ein entscheidendes Moment der Arbeit betrachtet werden: Zum einen, weil man hier, im aufgewirbelten Substrat, der sichtbaren Veränderung noch am nächsten kommen konnte-; zum anderen, weil neben dem (im doppelten Sinne) konkreten Inhalt, dessen Symbolismus sich mehr oder minder klar erschließt, die Arbeit gerade das ausstellt, was unsichtbar bleiben muss, nämlich die Fossilisation selbst. Darin liegt ihr humoristischer Grundzug: Eine Versteinerung ausstellen- nichts könnte doch gewöhnlicher sein?-aber dabei den Prozess zu meinen. Die Unmöglichkeit, eine solche tatsächlich zu sehen, bzw. sehen zu machen, kann so zum lachen anregen, hat aber auch Beunruhigendes, denn die Maßstäbe, die angelegt sind, sind übermenschliche und die Grenzen ästhetischer Erfahrung hier auch die unserer zeitlichen Existenz. So behauptet die Arbeit eine spezielle Autonomie gegenüber ihrem Publikum, da sie, streng genommen, Keines haben kann: Es bleibt nur der zum Bild geronnene Moment des Konservierenden oder der abwesende Betrachter.
Vincent Mayr
Der Regen bringt die Farbe
Die Künstler Valentino Berndt und Marlon Kai Lanziner zeigen mit der Arbeit Der Regen bringt die Farbe aus dem Jahr 2019 eine Variation zu den verschiedenen Arbeiten im Bereich der Erosionsrinnen.
Die Skulptur befindet sich in der Außenanlage der im Jahre 1904 erbauten Villa Hauff in Stuttgart. Eine ehemalige Kutschenauffahrt und eine Fußgängerstaffel führen den steilen Hang zum Anwesen hinauf. Neben der letzten Staffel, bevor man den Eingang erreicht befindet sich rechts davon eine steile Grünfläche. Diese nutzen die Künstler für die Präsentation der Arbeit.
Die Künstler montieren acht steile Stufen aus unregelmäßig behauenem, weißem Marmor in den Hang. Auf der von unten gesehen jeweils vierten und achten Stufe befinden sich zwei Stahlkonstruktionen.
Diese tragen jeweils eigenständige Arbeiten der Künstler. Berndt montiert auf der achten Stufe vier übereinander liegende Kupferplatten welche mit Streben befestigt sind. Diese sind so geformt, das sich das Regenwasser sammelt und anschließend auf den Marmor tropft.
Lanziner zeigt seine Arbeit auf der vierten Stufe. Mit zwei ineinandergesteckten Kupferrohren bildet er eine Spiralform die sich vom einen Fuß der Stahlkonstruktion bis hin zum anderen windet. Am oberen Teil dreht sich die Spiralen dreizehn Mal um die eigene Achse und nimmt dabei verschiedene Formungen und Größen an.
Lanziner greift hier eine Formensprache auf, welche er bereits bei der Arbeit Stahlskulptur Kreislauf aus dem Jahre 2014 verarbeitet. Hier greift er auf bekannte Motive zurück und verbindet diese mit seiner neuen Arbeit.
Das Regenwasser sammelt sich an den Spiralen und fließt auf den noch weißen Marmor. Durch das Einwirken des Wassers verfärbt sich nach und nach der Stein. Der Regen bringt also die Farbe.
Die Kupferrohre bilden hier für Lanziner eine Art Filter der Großstädtischen Umwelt. Kupfer bindet Feinstaub und verfärbt, grün-blau von den Kupferrohren tropfend, den Marmor. Die Arbeit des Künstlers ist somit auch ein Verweis auf die aktuelle Problematik um saubere Luft. Auch (s)eine Skulptur kann einen, wenn auch symbolischen, Beitrag leisten.
Marmor und Kupfer sind wertige Materialien die oft bei hochwertigen Bauten eingesetzt werden. Auch die Villa Hauff wurde aus edlen Baustoffen erbaut. Die Künstler möchten sich mit der Wahl des Materials in die Ästhetik des Ortes einfügen und beabsichtigen, dass diese vor Ort in einen Dialog miteinander treten können. Alt und neu sollen nicht im Gegensatz zueinander stehen.
Der Künstler spannt hier ein Verhältnis zwischen dem geschichtsträchtigen Ort und der ihn umgebenden Umwelt. Zugleich verweist er auf Aspekte des Umweltschutzes, und arbeitet mit Umwelteinflüssen um mit diesen in Form von Regen und Oxidation einen immer fortwährenden Prozess der Veränderung herbeizuführen.
Der sich farblich stetig verändernde Marmor ist für Lanziner eine Art Seimograph der Umwelt.
Andreas Benjamin Vamosi M.A.
Kunsthistoriker
Erosionsrinnen
Der unverkennbare Geruch von feuchter Natur steigt einem in die Nase, wenn das Künstlerduo Mava die Türen ihres Ateliers im Stuttgarter Künstlerhaus öffnet.
Irgendwo zwischen einem frischen Regenguss an einem Sommertag und dem klammen Duft einer sich zersetzenden Welt.
Valentino Biagio Berndt und Marlon Lanziner haben eine Rauminstallation erschaffen, die das gesamte Atelier in Anspruch nimmt. Es tropft.
Klettert.
Quietscht und entsteht.
Regenrinnen durchziehen das lichtdurchflutete Studio. In ihnen sprießen Pflanzen unterschiedlichster Gattung hervor. Durch eine Fensteröffnung fängt die Apparatur Regenwasser auf und bringt somit den Organismus und das Kunstwerk in Gang. Stetig fließt das Wasser durch Erde, Krusten und Wurzeln hinweg und tropft über mehrere Öffnungen in große Wannen.
Sie selbst nennen die skurrile Konstruktion »Erosionsrinnenapparat«.
Gebückt schlüpft man unter Regenrinnen hindurch, und bestaunt die Erzeugnisse des Apparats. Mithilfe des Erosionsrinnenappart züchtet das Künstlerduo Stalagmiten und ähnliche erodierte Objekte, wie Tropfgebilde und Sedimentablagerungen.
Alles was entsteht, ist eine Zufälligkeit, die von den beiden Künstlern minutiös vorbereitet wird. Denn sie entscheiden, welche mineralhaltigen Substanzen sie der Dachrinnenvegetation zugeben. Diese Zusätze bestimmen die Struktur und Farbgebung des Tropfens, der das Ergebnis beeinflusst.
»Die Rinne ist ein Sinnbild der Natur, die eben immer neue Dinge hervorbringt und nicht stagniert«, erklärt Marlon Lanziner die skurrile Apparatur.
Der Erosionsrinnenappart ist somit nicht nur eine hübsch anzusehende Apparatur, sondern auch ein Verweis auf die Natur und ihre pragmatische Art neue Dinge hervorzubringen. Sie ist stetig im Wandel und stagniert nie. Ähnlich wie ein Künstler, der sich an seine Umwelt anpasst und immer neue Wege findet, sich auszudrücken.
Ein ruhiger Fluss inmitten der Stadt
an dem zwei Primaten
mit dem was Sie haben
künstlerische Arbeit taten
die Auswahl zu treffen
wann ist es fertig?
Sich zu beteiligen an dem was blieb
um neues zu sehen,
bis man merkt dass es kein Ende gibt
sondern der Fluss immer im Takt
beruhigend Konstant
die Verbindung
von uns zur Natur (R)Inne hat.
Marlon Lanziner
Von steten Tropfen, Regen und Sumpfwasser
Für ihre künstlerischen Arbeiten begeben sich Marlon Lanziner und Valentino Biagio Berndt immer wieder in die Natur. Wie die Romantiker treibt sie eine Sehnsucht und die Faszination. Doch ihre künstlerische Auseinandersetzung ist nicht klassisch. Es ist nicht die große Erhabenheit, die fasziniert und im klassischen Medium festgehalten wird, sondern das Zusammenspiel der Elemente bis ins kleinste Detail. Dabei bestimmen die Urgesetze der Natur wesentlich ihre Arbeit. Für die Beiden kann eine schlichte, aber äußerst widerständige Pflanze wie Schachtelhalm ebenso faszinierend und vom künstlerischen Nutzen sein wie ein Tubifexwurm.
Marlon Lanziner und Valentino Biagio Berndt erkunden Naturräume, natürliche Materialien und Phänomene eingehend. Es entstehen anschließend komplexe Installationen im Innen- und Außenraum. Diese wirken wie Experimente mit organischen Vorgängen und Organismen. Naturphänomene werden in neue Bahnen geleitet und neue Prozesse angestoßen. Wie die Natur selbst sind diese Werke nicht auf Stillstand ausgelegt, sondern als fortlaufende Prozesse konzipiert. Selbst Objekte aus Leinwand, Papier, Holz oder Stein, die oft neben den Installationen selbst als Resultate, beispielsweise von ständiger Betropfung mit Wasser, Pigmenten, Kalk und verschiedenster anderer Ingredienzien übrigbleiben, zeigen durch ihre sichtbare Behandlung immer weiter fortführbare Prozesse und den stetigen Wandel auf.
Die Erosionsrinnen (2018) entstanden erstmals für den Kunstverein Ettlingen. Angedockt an die bestehende Regenrinne am Außengebäude des Kunstvereins führten die beiden Künstler ein System aus Regenrinnen ins Innere des Gebäudes. Die Rinnen ziehen sich auf unterschiedlichen Höhen durch den Ausstellungsraum. Sie dienen als neues Habitat für Wildpflanzen (zum Beispiel Schachtelhalm) aus der direkten bewaldeten Umgebung. Das von außen in die Rinnen eingeführte Wasser läuft am Ende der Installation aus den Rinnen heraus auf gesammelte Hölzer und Steine. Die steten Tropfen bilden Spuren und formen die Materialien neu. Der Kunstverein verwandelt sich in ein wundersames Biotop, das sich täglich wandelt.
Im Künstlerhaus wird die Anlage der Erosionsrinnen seit 2019 in erweiterter Form erprobt und wird endgültig zum Versuchslabor für ein künstlerisches Zusammenspiel von Wasser, Erde, Pflanzen und natürlichen Objektträgern auf denen sich die Prozesse abbilden.
An die Verwendung von Wasser als Kraft der Veränderung schließt die Arbeit The rain brings the color (2019) am Werkstatthaus unmittelbar an. Hier befindet sich die Installation direkt im Außenraum und wird den natürlichen Witterungen überlassen. Eine Installation aus Kupfer gibt Farbe auf eine weiße Marmortreppe ab. Mit der Zeit werden deutliche Verfärbungen an Kupfer und Marmor sichtbar werden. Auch hier werden Prozesse offen gelegt. Es handelt sich um eine längerfristige Anlage, die sich Stück für Stück verändern wird. Es gibt keine Definition für ein klares Endergebnis, sondern die stetige Veränderung der Materialien ist das Ziel.
Bei den Konservierenden Momenten (2019) sind alle Prozesse unter Wasser verlagert. In verschiedenen Aquarien kommen unterschiedliche Substanzen mit Sumpfwasser zusammen um mit der unterschiedliche Effekte zu erzeugen. Insektenlarven schwimmen herum. Im Lauf der Zeit kann in dem stehenden Gewässer aber nur eine Wurmart (der besagte Tubifexwurm) überleben. Materialschichten und Substanzen verändern sich außerdem und ordnen sich in dem kleinen Kosmos neu.
Die genannten Arbeiten des MAVA-Kollektiv vereint, das sie Verwandlungs- und Zeitprozesse sichtbar machen. Die Neugierde für die Veränderung führt zu experimentellen und erfinderischen Installationen. Im besten Fall erinnern die Arbeiten den Betrachter daran, dass in wenigen Wassertropfen oder einem kleinen Wurm die Faszination eines ganzen Kosmos enthalten sein kann. Die drei hier beschriebenen Arbeiten konzentrieren sich auf die Wirkungskräfte des Wassers. Regenwasser oder auch schnödes bräunliches Sumpfwasser muss nicht profan sein. Es ist vielmehr immer Teil eines Kosmos, der im Großen und im Kleinen stets fasziniert und Aufmerksamkeit verdient.
Anka Wenzel